Renes Tagebuch - Carpe diem, wenn die Sonne nicht mehr schläft
Aktualisiert: 25. Juni
Brzz Brzz Brzz... Das Geräusch des Piezo Gasanzünders weckte mich. Durch meine geschlossenen Augen drang das gold-gelbe Licht der Sonne, welches durch die kleinen, viereckigen Öffnungen in der Verdunklung unseres Campers kam. Als ich die Augen öffnete sah es aus, als würde Gold zähflüssig durch alle Ritzen dringen. Ein Blick auf die Uhr zeigte, es war gegen Mitternacht und anscheinend hatte der Rest der Familie beschlossen, einen Snack zu zubereiten.
Es war bereits ein paar Tage her, dass der gewohnte Tag-Nachtwechsel nicht mehr existierte und wir waren hinsichtlich unseres Schlaf-Wach-Rythmus völlig aus dem Takt.
Ich glaube es begann auf Lovund, als wir spontan beschlossen, nochmal zu dem Felsen der Papageientaucher zu Wandern – um 00:30h Nachts! Die Sonne war gerade hinter dem Horizont verschwunden und der Himmel strahlte im besten Sonnenuntergangs-Licht. Tiago war gerade eingeschlafen, also nutzten wir die Gunst der Stunde und machten uns auf den Weg. Der Aufstieg war recht Steil, aber kurz und schön, zumal mir der Sonnenschein zusätzliche Kraft gab. Irgendwie fühlte es sich an, wie morgens aus dem Club zu kommen, matt, aber doch voller Zuversicht und Tatendrang. Das goldene Licht des Sonnenuntergangs begleitete uns bis zu einer steilen Felskante, von wo aus wir einen guten Blick auf Lovundfjellet hatten. Wir ließen uns nieder und verweilten bei den Papageientauchern, welche in 2m Entfernung über unsere Köpfe düsten. Wir sahen einen Seeadler, welcher von den Unmengen an Papageientauchern vertrieben wurde und nach einer Weile traute sich auch eine Waldwühlmaus aus ihrer Höhle. Ich atmete die frische Seeluft tief ein, es tat gut mal wieder in der Natur zu sein. Auch der Abstieg wurde von der Abend/Morgensonne begleitet. Es mochten wohl 3 Stunden vergangen sein, in denen sich das Licht nicht änderte.
Mittlerweile waren wir auf der Insel Senja angekommen und ich hatte mich gegen 20:00h völlig K.O. ins Bett unseres Campers gelegt. Nun drangen die Stimmen von Tiago und Caro an mein Ohr, welche einen quetschfidelen Eindruck machten. Also Vorhang auf und schauen was los ist — ahh es gibt Kriterharki mit Feta und Tomatensoße, lecker. Beim Essen überlegen wir was wir mit der angebrochenen Nacht anfangen. Schnell war klar – wir wollten die Wanderung, welche wir vor 5 Jahren im Winter gemacht haben wiederholen. Also auf zum Leirpollfjellet, die Aussicht würde mit dem goldgelben Licht der Sonne sicher wunderschön werden.
Ab hinters Steuer und Aufbruch, mittlerweile war es schon 01:00h. Die Sonne tauchte alles in weiches, goldenes Licht, die Bäume und Sträucher waren von einem magischem Lichtkranz umgeben. Als wir die Waldlichtung verließen und auf die Straße neben dem Fjord einbogen, sah dieser aus wie flüssiges Metall. Ein absolut absurder und surrealer Anblick, aber dennoch beeindruckend schön.
Am Wanderparkplatz angekommen, zogen wir uns um und machten uns auf den Weg, welcher sich schmal und idyllisch den Berghang hinaufschlänglte.
Die Mitternachtssonne schien auch bei Tiago ganz neue Kräfte zu wecken, denn er marschierte energetisch voran, anstatt in der Kraxe zu hocken. Immer wieder drehte er sich um, und sagte kommt, kommt und forderte uns mit seiner Hand immer wieder auf ihm zu folgen.
Unterwegs fanden wir Elchspuren und so hoffte ich auf die ein oder andere Tiersichtung unterwegs. Während des kurzen Aufstiegs von 160hm wurde ich enttäuscht, dafür war das Licht umso beeindruckender, als wir Stück für Stück immer mehr der Insel und der umliegenden Bergketten sahen. Die Aussicht am Gipfel war atemberaubend, da wir auf der höchsten Erhebung ganz im Süden der Insel standen und auch einen Ausblick auf das südliche Festland hatten. Tiago hatte tatsächlich den gesamten Aufstieg geschafft und posierte nun stolz am Gipfelkreuz.
Auf der Rückfahrt kamen uns auf der Straße dann zwei Elche entgegen, welche gemütlich am Straßenrand gegrast hatten. Endlich sahen wir wieder mal Tiere. Als ich aus einer Schotterstraße ausfahren wollte sahen wir eine kleine Schneeeule. Als Krönung des Tages verscheuchten wir einen Waldmarder als wir auf die Waldlichtung zurück kehrten, um dort zu übernachten.
Nachtfahrten in Norwegen zahlen sich wirklich aus! Denn neben ruhigeren Straßen sieht man auch immer wieder wildlebende Tiere. Und in der Nacht fahren, wenn eh die Sonne scheint ist recht leicht ;)
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